von Jens Palkowitsch-Kühl, Referent für digitale Bildung, RPZ Heilsbronn

Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung: Wie hältst du‘s mit der Kirche?

Seit 1972 gibt es alle zehn Jahre eine Untersuchung, die sich mit der Frage beschäftigt, wer Mitglied in der Kirche ist und wie die Einstellungen zur Religion sind.

Im Jahr 2023 wurde die sechste Ausgabe dieser Untersuchung veröffentlicht. Diese liefert interessante Informationen zu Themen wie Kirchenmitgliedschaft und Religion. Dieses Mal wurden nicht nur evangelische Christ*innen und Menschen ohne religiöse Zugehörigkeit befragt, sondern auch Katholik*innen. Es wurden auch neue Fragen zu Themen wie Umweltschutz und politischen Einstellungen gestellt, zum Beispiel zur Haltung gegenüber Geflüchteten oder zur Demokratie.

Die Untersuchung versucht herauszufinden, wie religiös die deutsche Bevölkerung heute ist und warum sich immer mehr Menschen dafür entscheiden, aus der Kirche auszutreten. Außerdem wird darüber nachgedacht, wie sich die Kirchen in Zukunft ändern sollten, um wieder mehr Vertrauen in der Gesellschaft zu gewinnen.

Zentrale Befunde und konstruktive Kritik
  • Die 6. KMU ist erstmals repräsentativ für die Gesamtbevölkerung.
  • Nicht nur die Kirchenbindung geht deutlich zurück, sondern auch Religiosität.
  • Katholik*innen erwarten nichts anderes von ihrer Kirche als Protestant*innen, aber der Reformdruck auf die katholische Kirche ist größer.
  • Nicht den Anschluss an den kulturellen Wandel zu verlieren, für die jüngsten Generationen attraktiv zu bleiben und nicht nur gesellschaftlich Etablierte anzusprechen, sind zentrale Herausforderungen.
  • Die Kirchen spielen eine wichtige zivilgesellschaftliche Rolle und stärken die Demokratie (vgl. EKD 2023, 13).

In Abbildung 1 ist die zweite Aussage untermalt, indem vier Orientierungstypen skizziert werden: Kirchlich-Religiöse, Religiös-Distanzierte, Alternative und Säkulare. Merle, Anselm und Pohl-Patalong (2023) kritisieren diesen vorweggenommenen theoretischen Zugang jedoch, da dieser vorrangig der Säkularisierungstheorie folgt. Das Testinstrument sei zwangsweise nicht dafür ausgelegt worden, um eine derartige Typisierung mit den vorhandenen Items vorzunehmen, da die Vorhandenen zu wenig die diffusen Formen von Religiosität in den Blick nähmen. Diese Darstellung ist somit mit Vorsicht zu genießen.

Abbildung 1: Die Großwetterlage der (Nicht-)Religiosität (EKD 2023, 19).

Insgesamt zeigt sich anhand der KMU 6 und dieser Lesart, d.h. das zunehmende modernere Gesellschaften Religionen verdrängen, nach Merle, Anselm und Pohl-Patalong die Schwierigkeit, dass „sie Kirchenreformen eher blockiert als fördert – zumal wenn sie sich als sich direkt ‚aus den Daten ableitende‘ und damit alternativlose Lesart präsentiert. Wenn es so wäre, dass mit dem Rückgang der Nähe zu den gegenwärtigen Formen von Kirche unweigerlich religiöse Haltungen und das Interesse an religiösen Themen stark zurückgehen, dann wäre die Konsequenz eine Mangelverwaltung. Man könnte dem Trugschluss folgen, dass man mit den 13 Prozent der Bevölkerung, deren Religiosität kirchennah orientiert ist, in den vertrauten Formen weiterarbeiten könnte. Die vielfältigen Erfahrungen, dass sich mehr und andere Menschen für Kirche interessieren, wenn sie sich in anderen Formen nah an den Bedürfnissen und Interessen von Menschen orientiert, würden ignoriert und nicht als Leitperspektive für eine Veränderungen der Relevanzorientierung künftigen kirchlichen Handelns genutzt.“ (Merle, Anselm und Pohl-Patalong 2023).

Akteur*innen könnten in der Weiterentwicklung von Kirche daher keinen Sinn mehr sehen und es käme zu einer Mangelverwaltung bis hin zu einer sich verstärkenden Abwärtsspirale.

Bildung als zentrales Thema von Kirche

Die KMU 6 zeigt, dass Kindheit und Jugend für die religiöse Sozialisation wichtige Lebensabschnitte darstellen. Vier spannende Ergebnisse fasst die KMU zusammen:

  • Das Elternhaus ist für die spätere Kirchenbindung nach wie vor entscheidend.
  • Die familiäre Sozialisation und kirchlich verantwortete Angebote, vor allem die Konfirmation und Konfirmand*innenzeit, beeinflussen die spätere Einstellung zur Religion und Kirche maßgeblich.
  • Die Teilnahme an kirchlichen Angeboten wird oft als prägend, wirkungsvoll und relevant erlebt.
  • Die Mehrheit der Bevölkerung spricht sich dafür aus, dass der Religionsunterricht in Schulen beibehalten wird. Die kirchliche Mitverantwortung am Religionsunterricht in öffentlichen Schulen wird jedoch zunehmend infrage gestellt.

Die vier am häufigsten genannten Faktoren, die in der Kindheit und Jugend einen Einfluss auf die spätere Einstellung zur Religion ausüben, sind: (1) Konfirmation, Erstkommunion, Firmung, Jugendweihe, (2) die eigene Mutter, (3) schulischer Religionsunterricht, (4) der eigene Vater (vgl. Abbildung 2). Weiterführende Auseinandersetzung mit den Feldern der Gemeinde- und Religionspädagogik finden sich im aktuellen Themenheft zur KMU 6 der Zeitschrift für Pädagogik und Theologie.

Abbildung 2: Religiöse Sozialisation (EKD 2023).
Die Rolle der Digitalisierung

In den bisherigen Ergebnisdarstellungen finden sich digitale Formate etc. nicht explizit erwähnt. Auch in der Frage nach der Kommunikation über Religion und religiöse Kommunikation (EKD 2023, 32) oder der Religiösen Sozialisation (EKD 2023, 59) sind keine diesbezüglichen Aussagen zu finden. Sobald detailliertere Darstellungen verfügbar sind, wird dies in einem Folgeartikel in den Blick genommen werden. Denn insbesondere die neu entstandenen digitalen Kommunikations- und Gemeinschaftsformen sind für uns hier von besonderem Interesse. Aktuell leistet die CONTOC-Studie (Churches Online in Times of Corona) dahingehend Pionierarbeit, dass sie die Nutzung digitaler Medien in evangelischen Kirchengemeinden in Deutschland und Kirchgemeinden in der Schweiz seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 auf Akteur*innenebene untersucht (vgl. Schlag/Nord, Yadav/Lämmlin 2023). So stellt Contoc² folgende Fragehorizonte in den Raum: „Insofern münden Überlegungen zum Einsatz digitaler Medien und digitaler Kommunikationspraktiken in der Kirche in die Frage: Woran wird sich Kirche in Zukunft orientieren? An einer Vorstellung analoger Praxis, wie sie bisher prägend war? Oder an der Vorstellung von einer Kirche, die ihre Kommunikation auf die „Kultur der Digitalität“ einstellt und sich als Teil von dieser versteht, durchaus kritisch konstruktiv, aber eben aktiv an der Gestaltung von dieser beteiligt?“ (Schlag/Nord, Yadav/Lämmlin 2023).

Einladung zum digitalen Denkraum: EKD-Denkraum

Im internen sozialen Netzwerk Denkraum(opens in a new tab) treffen sich Menschen, die für die Entwicklung der Kirche auf regionaler und überregionaler Ebene Verantwortung tragen – Superintendent*innen und Dekan*innen, ehrenamtliche Mitglieder von Bezirks- und Landessynoden, Leitende in Diakonie und Kirchenverwaltung, regional und landeskirchenweit in besonderer Funktion Beauftragte.

Nach einer Anmeldung kann dort mitdiskutiert werden.

Fazit: Neue Kommunikations- und Glaubensformen?

Noch können aus den vorlegten Ergebnissen keine Bezüge zu digitalen Glaubenspraktiken und deren Rolle hergestellt werden. So bleibt mit Spannung zu erwarten, welche tieferen Einblicke die Auswertung der anderen Fragehorizonte birgt.


Quellen und weiterführende Literatur

EKD (2023): Wie hältst du’s mit der Kirche? Zur Bedeutung der Kirche in der Gesellschaf. Erste Ergebnisse der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, online unter: https://kmu.ekd.de/fileadmin/user_upload/kirchenmitgliedschaftsuntersuchung/PDF/Wie_h%C3%A4ltst_du%E2%80%99s_mit_der_Kirche_%E2%80%93_Zur_Bedeutung_der_Kirche%E2%80%93in%E2%80%93der%E2%80%93Gesellschaft_KMU_6.pdf.

EKD (2023): 6. Kirchemitgliedschaftsuntersuchung, online unter: https://kmu.ekd.de/.

Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, Band 75, Heft 4, 2023: Themenheft: Die sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD online unter: http://www.degruyter.com/journal/key/zpt/html?lang=de#latestIssue.

Merle/Anselm/Pohl-Patalong (2023): Wie hältst du’s mit der Religiosität? Eine kritische Perspektive auf die soeben erschienene Überblicksdarstellung der KMU VI, In: Zeitzeichen, online unter: https://zeitzeichen.net/node/10806.

Frankfurt Allgemeine Zeitung (14.11.2023): Reinhard Bingender: Zahl der betenden Katholiken halbiert sich, online unter: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/zahl-der-katholiken-die-beten-halbiert-sich-ekd-mitgliederbefragung-19312966.html.

Schlag/Nord/Yadav/Lämmlin (2023): Digitalisierung in der Kirche. Aktivitäten, Potenziale, Chancen – und was jetzt fehlt, online unter: https://contoc2.org/de/aktivitaeten-potenziale-chancen-und-was-jetzt-fehlt-digitalisierung-in-der-kirche-thomas-schlag-ilona-nord-georg-laemmlin-katharina-yadav-deutsches-pfarrerblatt/.


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