von KR Prof. Dr. Thomas Zeilinger, Beauftragter für Ethik im Dialog mit Technologie und Naturwissenschaft der Evang.-Luth. Kirche in Bayern | veröffentlicht am 28. Oktober 2024
Lange hatte es den Anschein, als sei es eins der leeren Versprechen: das papierlose Büro, das mit dem Einzug von Computer und Bildschirm in die Verwaltungen und Büros seit mehr als fünfzig Jahren darauf wartet, Wirklichkeit zu werden.
Und doch scheint es in den letzten fünfzehn Jahren deutlich näher gerückt: Digitales Arbeiten ist inzwischen so etabliert, dass E-Mails nicht mehr ausgedruckt und abgelegt, Daten digital erfasst, verarbeitet und archiviert werden, Ausnahmen bestätigen (noch allzu oft) die Regel.
Die nicht abgeholzten Baumstämme und das eingesparte CO2 sind das wohl bekannteste Nachhaltigkeitsversprechen der digitalen Revolution. Aber nicht nur hier sieht sich die Digitalisierung der Frage gegenüber, ob sie denn tatsächlich zum notwendigen ökologischen Wandel beiträgt. Seit Jahren ist schließlich bekannt, dass sowohl der Versand einer E-Mail als auch jede Suchanfrage bei Google oder das Speichern von Daten in der Cloud Strom kostet. Im Jahr 2015 verbrauchten die Dienste von Google (einschließlich YouTube, Google Maps und Google Drive) so viel Strom wie die gesamte Stadt San Francisco (https://www.verivox.de/strom/themen/stromverbrauch-google/). Mit den aktuellen Entwicklungen im KI-Bereich erhöht sich der Stromverbrauch noch einmal drastisch: Hatten sich die großen Unternehmen wie Google, Facebook und Microsoft alle Zielvorgaben gesetzt, um bald nur noch Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu verwenden, so zweifeln sie angesichts des Energiehungers von großen Sprachmodellen und generativen Pre-Transformern inzwischen daran, diese Ziele im gewünschten Zeitraum erreichen zu können [https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ki-chat-gpt-klimabilanz-microsoft-google-amazon-lux.G1uu8X8CLpkjoeAgJd3q5L].
Neben den Fragen des Energieverbrauchs und der Klimabilanz erscheinen noch andere Fragen auf der Agenda, sobald die Ethik mit der Brille der Nachhaltigkeit auf die Digitalisierung schaut: Wie steht es mit den Materialien, die für die technische Hardware benötigt werden? Bekannt ist das Thema der Seltenen Erden [https://www.rnd.de/wissen/seltene-erden-was-ist-das-und-wofuer-werden-sie-gebraucht-DUUTMEHKUZBZ3HICISFR56YM5I.html], aber auch Fragen des Recycling-Anteils bei der Produktion und der Herstellungsbedingungen gehören in diesen Zusammenhang. Beim Gebrauch der Geräte lautet das einschlägige Stichwort “geplante Obsoleszenz”: Sind Geräte nicht oft so ausgelegt, dass sie früher als technisch notwendig kaputt gehen? Die EU hat jüngst deshalb erst das “Recht auf Reparatur” in einer Richtlinie verankert [https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20240419IPR20590/recht-auf-reparatur-reparieren-einfacher-und-attraktiver-machen]. Spätestens dann, wenn das Geräte nicht mehr zu reparieren oder die Batterie nicht mehr zu tauschen ist, taucht das Recycling wieder als Thema auf.
Während so zwischen den Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit sich eher die Fragen zu einem Widerspruch auszuwachsen scheinen, sind auf der anderen Seite der Waagschale dann doch auch deutliche Effekte digitaler Techniken zu erkennen, die der Nachhaltigkeit zugute kommen:
Digitalisierung hilft bei der Gebäudetechnik dabei, Energie, durch intelligente Steuerung einzusparen; Rechnen in der Cloud schont Ressourcen im Vergleich zu Speicherplatten und Prozessoren vor Ort; Videokonferenzen sparen Zeit, Kosten und Energie für Fahrten und Reisen.
Digitalisierung muss also nicht auf jeden Fall der Nachhaltigkeit widersprechen. Aber sie fördert diese auch nicht per se. Sie muss eingebettet werden in Rahmenbedingungen und von leitenden Prinzipien und Werten getragen sein. Beispielsweise von dem der Suffizienz: Sie sollte den Konsum von Ressourcen verringern und nicht erleichtern.
Dafür braucht es einerseits Verbraucher*innen, die bereit sind ihren Konsum zu reduzieren. Zugleich benötigt es aber auch politische Rahmenbedingungen, die zu ressourcenschonenden Effekten der Digitalisierung beitragen (vgl. das Recht auf Reparatur der EU). Und es braucht drittens Organisationen und Unternehmen, die selbst Anstrengungen unternehmen, bestehende Widersprüche von Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu verkleinern und mögliche Synergien zu befördern.
In den nächsten Wochen und Monaten wollen wir uns diesem Thema widmen, mit wissenschaftlichen Vertiefungen, Tipps & Tricks für einen nachhaltigeren digitalen Alltag und Foren zum Austausch und zur Vernetzung rund um das Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit in ELKB und Diakonie.
Sie würden gerne bereits jetzt in den Austausch kommen? Dann schreiben Sie an ethik[at]elkb.de.
Wir freuen uns über Ihre Nachricht!
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