Interview mit Ulrich Walwei über Künstliche Intelligenz, Clickworker und neue Normalitäten in der Arbeitswelt
von Philip Büttner, Wissenschaftlicher Referent, kda Bayern | veröffentlicht am 22. Juli 2024
Prof. Dr. Ulrich Walwei ist Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg und Honorarprofessor für Arbeitsmarktforschung an der Universität Regensburg. Der renommierte Ökonom und Arbeitsforscher war Mitglied des von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ins Leben gerufenen Think Tanks “Rat der Arbeitswelt” und gehört einer Reihe weiterer Beratungsgremien an.
kda Bayern: Herr Prof. Dr. Walwei, die Lage am Arbeitsmarkt erscheint widersprüchlich. In vielen Branchen herrscht ein alarmierender Personalmangel. Zugleich haben wir immer noch etwa 2,7 Millionen Arbeitslose. Wie passt das zusammen?
Walwei: Der Arbeitsmarkt ist kein homogener Block. Der setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. In einem Segment sind die qualifizierten Arbeitskräfte knapp. Dieses Segment wächst u.a. aufgrund des demografischen Wandels, wie wir das beispielweise in der Pflege sehen. Aber diejenigen, denen es an Qualifikationen fehlt, müssen auch künftig mit einem hohen Arbeitslosigkeitsrisiko und einem geringen Lebenseinkommen rechnen. Wir sehen weiterhin ein Wachsen der Qualifikationsanforderungen.
Müssen im Zuge der Digitalisierung nicht auch Hochqualifizierte befürchten, dass ihre Kompetenzen entwertet werden? Zum Beispiel könnten viele Jurist*innen, Finanzberater*innen oder Journalist*innen bald durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden.
Künstliche Intelligenz wird natürlich die Art und Weise, wie wir arbeiten und Leistungen erbringen, stark verändern. Das gilt übrigens auch für uns in der Wissenschaft. Wir werden viele Recherchen künftig mit Tools aus der KI erledigen. Aber wir brauchen immer auch die Fähigkeit, KI richtig einzusetzen, wir brauchen eine Qualitätssicherung, wir brauchen die kreative Power des Menschen. Man sieht das an den Stellenausschreibungen von stark digitalisierten Unternehmen: Die sozialen und die kreativen Kompetenzen des Menschen, die nicht durch Maschinen ersetzt werden können, bekommen ein immer größeres Gewicht.
Wie bewerten Sie Spielarten der Plattformökonomie wie das “Clickworking” oder “Gigworking”, das Feilbieten von Dienstleistungen auf digitalen Märkten? Ist das die Zukunft der Arbeit oder bleibt es ein Randphänomen?
Da will ich keine Prognose aufstellen, würde aber nicht davon ausgehen, dass es ein Massenphänomen wird. Clickworker sind oft junge, gut ausgebildete Menschen, die das für eine Weile nebenberuflich machen. Es gibt noch keine Hinweise darauf, dass sich Clickworking als Lebensentwurf durchsetzt. Irgendwann wollen die meisten Menschen nicht mehr für ein anonymes Publikum arbeiten, sondern suchen sich einen Kundenstamm oder eine abhängige Beschäftigung in einem konkreten Unternehmen. Ökonomisch gesprochen: Diese Plattformen senken die Transaktionskosten, indem Angebot und Nachfrage leichter zusammenkommen.
Aus Sicht von Unternehmen kann es Sinn machen, für digitale Dienstleistungen, die nicht regelmäßig gebraucht werden oder sehr spezialisiert sind, Clickworker zu beauftragen. Für andere Aufgaben ist es einfacher, jemanden fest einzustellen.
Wie wird in Ihren Augen die Arbeitswelt von morgen aussehen, was wird künftig “normal” sein?
Normal wird sicher sein, dass ich mich als Erwerbstätiger immer neuen Herausforderungen stelle. Der Wandel ist Programm. Ich kann nicht davon ausgehen, dass das, was ich einmal gelernt habe, mich durch ein ganzes Erwerbsleben trägt. Damit meine ich nicht, dass wir in den Betrieben unglaubliche Fluktuationen von Mitarbeitenden sehen werden. Man wird sich auch innerhalb desselben Betriebs immer wieder auf neue Aufgaben einstellen müssen. Das kann sehr spannend, aber auch sehr belastend sein.
Eine andere Frage ist: Wie und an welchen Orten arbeite ich? Schon heute könnten viele Erwerbstätige ihren Job praktisch überall erledigen. Wenn es meinen eigenen Bedürfnissen entspricht, ist mobiles Arbeiten sehr verheißungsvoll. Gleichzeitig wird aber viel Erreichbarkeit von mir verlangt und es kann sein, dass ich nur noch schwer Abstand von der Arbeit finde. Ob das dann am Ende Fremd- oder Selbstausbeutung ist, lass ich mal dahingestellt, aber es bringt Entgrenzungsprobleme mit sich.
Eine neue Normalität wird auch sein, dass wir aufgrund der demografischen Entwicklung alle davon ausgehen müssen, dass wir im Erwerbsleben einen Marathon laufen. Frühverrentungsmentalität gab es in den 90erJahren. Heute müssen wir für die lange Strecke bereit sein und aufpassen, nicht zu sehr zu beschleunigen, damit wir am Ende noch Kraft haben, aufrecht durchs Ziel zu kommen. Da geht es um Work-Life-Balance. Eine politische Empfehlung wäre beispielsweise, die Arbeitszeitmodelle flexibler an die Bedürfnisse bestimmter Lebensphasen anzupassen.
Zur Balance von Arbeit und Leben gehört aus Sicht der Kirche unbedingt auch die Sonntagsruhe. Wenn die Arbeitswelt aber immer fluider und digitaler wird und man jederzeit und überall arbeiten kann, glauben Sie, dass es in hundert Jahren noch einen freien Sonntag geben wird?
Hundert Jahre? Das ist lang für eine Prognose. Vorab ist hier zu sagen, dass Arbeit an Sonntagen in einigen Berufen einfach notwendig ist, denken wir nur an Krankenhäuser. Grundsätzlich hat aber die in weiten Bereichen geltende Sonntagsruhe den großen Vorteil, dass man davon ausgehen kann, dass an diesem Tag auch andere Menschen frei haben. Da kann man ganz anders planen. Das fängt beim Gottesdienst an, aber betrifft natürlich auch die Familie und den Freundeskreis. Solche arbeitsfreien Tage für möglichst viele Menschen dienen auch dem Zusammenhalt der Gesellschaft. Insofern würde ich mir zumindest wünschen, dass es eine Übereinkunft gibt, dass wir so eine Auszeit einfach brauchen, um Kraft zu tanken – im Sinne dieses Marathons, von dem ich gerade gesprochen habe.
Aber ich kenne natürlich auch Gesellschaften, etwa die USA, in denen der Sonntag mit Vorliebe zum Shopping genutzt wird. Da das Angelsächsische oft zu uns hinüberschwappt, bin ich mir nicht ganz sicher, wie der Sonntag in ferner Zukunft aussehen wird.
Als der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (kda Bayern) im Jahr 1954 gegründet wurde war die (Arbeits-)Welt noch eine andere. Der 70. Geburtstag ist ein guter Anlass, um über die Arbeit im Wandel der Zeit nachzudenken. Das macht ein Online-Schwerpunkt des kda Bayern.
2 Kommentare
Andrea Heimann · 23. Juli 2024 um 16:50
Ein gutes und interessantes Interview lieber Philip 👍
Elfriede Bezold-Löhr · 25. Juli 2024 um 09:17
Danke für die Informationen. Nichts an den Einschätzungen von Prof. Dr. Ulrich Walwei ist m.E. wirklich neu, aber die wichtigen Themen sind klar angesprochen und die Herausforderungen offen benannt – das tut gut. Diese Ehrlichkeit – Beispiel: ‘das Arbeitsleben wird ein Marathon, daher die Kräfte gut einteilen – wünsche ich mir auch in der Politik.