von Christoph Breit, Leitung ELKB Social Media, Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern Landeskirchenamt, Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit/Publizistik (P.Ö.P.) Social Media Redaktion | veröffentlicht am 10. Juni 2024
Auszüge aus dem am 30. Mai veröffentlichten Artikel auf www.kirchedigital.blog
Nach fünf Jahren ist die re:publica wieder an ihren alten Ort, die Station Berlin zurückgekehrt. Noch größer, mit noch mehr Bühnen und Platz. 800 Sessions mit über 1500 Sprecher*innen waren unter dem Motto “who cares?” zu erleben. Doppeldeutig wie schon bei früheren RPs ging es dieses Jahr um Care-Arbeit und auch wer sich um was kümmert und – der dritte Wortsinn – ein hin und wieder gelassenes “was soll’s!?” angesichts all des Wahnsinns in der Welt.
Zum ersten Mal gab es mit der gleichzeitig stattfindenden Messe Tincon auch ein (kostenloses) Programm für Menschen zwischen 13 und 25 Jahren, das rund 4000 Jugendliche nutzen. Für alle Tincon-Teilnehmenden war die re:publica kostenlos. Ein super Signal.
Viele Inhalte der #rp24 sind auch im Stream zu erleben. Ich verlinke in diesem Blogartikel fortlaufend die Videos zu interessanten Themen.
Verloren auf Plattformen
Es hatte was von Trauerbearbeitung, was Patricia Cammarata, Simon Hurtz, Dirk von Gehlen, Katharina Nocun und Johnny Haeusler da auf die Stage 2 zauberten. Denn nach der Übernahme von Twitter durch Elon Musk fehlt der digitalen Community ihr kommunikatives Wohnzimmer. “Es war wie eine Trennung. Die Freundschaft, diese Person gibt es nicht mehr”, so Katharina Nocun. In der voll besetzen Halle hatte deutlich mehr als die Hälfte einen Twitteraccount und die meisten sind (wie ich auch) derzeit inaktiv. Vielleicht kommen ja wieder mal bessere Zeiten … aber was machen wir bis dahin? Zwei Learnings, die Dirk von Gehlen auf den Punkt brachte:
“Lasst uns das Internet wieder benutzen. Denn wenn’s nicht auf der Homepage steht isses verloren.” Und auf deiner Plattform bestimmst du die Regeln und von da aus kannst du dich verlinken, auch in den Sozialen Medien.
Und: “Wir müssen uns von der bösesten Lüge der Social Media lösen, das Reichweite etwas wert ist. Die Anzahl der Follower ist doch völlig egal. Der Algorithmus mischt sich eh selbst die Inhalte. Wir müssen uns dieser OMR-Reichweiten-Fixierung widersetzen. Am Ende geht es um Relevanz. Und was bringen dir 100.000 Follower, wenn die Hälfte davon Bots sind.”
Eine Lösung gab es nicht, nur die Erkenntnis, dass 2014 niemand geglaubt hätte, dass Twitter damals doch das Beste war, was in Social Media so gelaufen ist. Im Nachhinein ist man schlauer.
Übrigens zählt auch die Twomplet zu den Opfern von Elon Musk. Das abendliche Gebet auf Twitter ist mit der Reichweitenregulierung und der faktischen Abschaffung der Timeline zugunsten eines Algorithmus nahezu unmöglich geworden. RIP Twitter, hoffentlich sehen wir uns wieder.
KI wird uns alle retten! Es sei denn, sie tut es nicht.
Matthias Spielkamp sorgte für ein erstes Highlight (und die Erfahrung aus dem Kirchentag lehrt: Ein Highlight am Tag macht ihn zu einem gelungenen Tag). Seinen Vortrag empfehle ich sehr zum Nachsehen.
Neben viel Hintergrund zum Energieverbrauch von KI war seine Botschaft: Hinterfragt das positive Bild vom Nutzen der KI. Denn das Narrativ, mit KI könne viel Gutes bewegt werden, sei meist von den Playern geschrieben, die damit Geld verdienen. Und da KI selbst immer nur das wahrscheinlichste im Sinne von Häufigkeit findet, reproduziert sie auch mächtige Narrative.
Spielkamp, der Mitgründer und Geschäftsführer von AlgorithmWatch ist, hatte die Belege und die klare Kürze, das Thema KI künftig kritischer zu begleiten.
Communities ohne Hass! – Wie Community Management & empowernde Moderation Hass im Netz verdrängt
Das erweiterte Gelände der re:publica bot mit dem Berliner Technikmuseum wunderschöne Locations, auch im Freien. Björn Kunter, Marc Ziegele und Vivian Pein plädierten fundiert und leidenschaftlich für Community-Management. Denn wer einen Kanal aufmacht ist verantwortlich. Community Management hilft die Glaubwürdigkeit eines Kanals aufrecht zu erhalten.
Dem oft erhobenen Vorwurf, Löschen oder Verbergen von Kommentaren sei ein Akt der Zensur oder die Einschränkung der Meinungsfreiheit, hielten die drei entgegen, dass Nicht-Moderation die einschränke, die sich nur in geschützten Räumen an der Diskussion beteiligen. Und auch interessant im Kirchen- und NGO-Kontext eine Erkenntnis aus der Medienforschung: Wer auf Plattformen viele Hasskommentare liest, spendet weniger.
Für Community-Manager*innen gab es Tipps: Gehe von der Frage aus “Was kann ich bei einem Kommentar bestärken?” und überlege “Was kann ich positiv weiter führen?”.
Wer am liebsten wütende Antworten schreiben würden, nimmt am besten dazu ein extra Dokument, in das er oder sie textet. Das kann man dann auch gut mit den Kolleg*innen teilen und viel des Ärgers gemeinsam abbauen. Neben der Tatsache, dass man sich gegenseitig besser kennen lernt.
Und auch das: Üben, üben, üben. Resilienz stärken. Herausfinden “Was sind häufige Fragen?” und dazu in ruhigen Zeiten Antworten suchen und im Hintergrund Infrastruktur aufbauen. Wie kann ich wen in der Krise erreichen? Klären, was stehen bleiben kann und was nicht. Und zuletzt der Hinweis: Community Management erzeugt auch psychische Erschöpfung.
Hilfreich dazu das Konzept der bestärkenden Moderation “Hallo liebe Community!”
Klicke, um auf WhitePaper_HalloLiebeCommunity_DIGITAL_210518.pdf zuzugreifen
Deathcare. Kann KI Trauer heilen?
Die RP ist auch deswegen für Kirchenmenschen interessant, weil sich erleben lässt, wie Themen, die früher von den Kirchen besetzt waren, jetzt in der säkularen Welt von anderen aufgegriffen werden. Tod und Sterben hat da auf der re:publica als Thema eine lange Tradition. Dieses Mal ging es – wenig überraschend – um KI in der Trauer. Können Gespräche mit Chatbots, die mit Textnachrichten von Verstorbenen trainiert wurden, uns helfen, loszulassen, alte Wunden zu heilen oder gar Traumata zu verarbeiten? Oder vergiften virtuelle Avatare den natürlichen Trauerprozess?
Regisseur Hans Block (sein Film “Eternal you – vom Ende der Endlichkeit” kommt im Juni in die Kinos), Soziolage Matthias Meitzler (er forscht zu “unsterblich als Avatar”), Cori Moore (Gründerin des Netzwerks “Overmydeadbody”), Daniel Alt (Sein www.institut-ida.de hat unter anderem einen Chatbot für Bestattungsfirmen gebaut) und Bestatterin Lilli Berger (die mit VYVIT virtuelle Erinnersräume baut) beleuchteten das Thema jeweils aus ihrer Sicht. Der Fülle geschuldet ist eine Zusammenfassung leider nicht möglich. Aber die RP war hier wieder mal sehr weit vorne im Nachdenken über Spiritualität und Trauer in der Zukunft.
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