von Martina Jakubek, Dipl. Sozialpädagogin (FH), Referentin forum alter & generationen

“Juhu!”, jubelt meine Enkeltochter, als ich spontan anbiete, mit ihr in den nahegelegenen Fun-Park zu gehen. An der Kasse meint die Mitarbeiterin mit hochgezogenen Augenbrauen, wir würden ohne digitale Vorbuchung nicht reinkommen. Barverkauf sei eingestellt.

Kein Problem, denke ich, das können wir mit dem Handy nachholen. Die Enkeltochter quengelt, sie muss aufs Klo. Die Sonne scheint aufs Display, ich sehe nichts. Auf der anderen Straßenseite gibt es Schatten. Endlich baut sich die Homepage auf. Werbung, Sonderhinweise, alles winzig, unübersichtlich und nicht sinnvoll an das Smartphone angepasst. Meine Lesebrille ist zu Hause … Da endlich das Formular. Hurra, noch acht Plätze frei, wir brauchen ja nur drei! Jetzt nur noch bezahlen. Wie war noch mal das Passwort? Wie gut, es ist zur Sicherheit im Rucksack. “Klar, trinken kannst du, mein Schatz.” Ups, die Seite ist weg. Neu einloggen, alles noch mal, diese Minitasten! Wie bitte, alle Plätze vergeben? Tränen! “Oma, weine doch nicht, wir gehen halt Radfahren.”

Bin ich mit 62 zu alt, eine Eintrittskarte zu organisieren?

Die BAGSO (Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen) hat 2.300 Menschen ab 60 Jahren gefragt, ob ein Leben ohne Internet noch geht.1  Ein Zitat bringt die Rückmeldungen der Befragung auf den Punkt: “Die neue Grundsteuersache ist unlösbar für Leute ohne Internet. Das ist echt diskriminierend. Wo steht geschrieben, dass ich Internet können muss?”

Diese Studie zeigt Barrieren in fast allen Lebensbereichen. Besonders häufig sind sie beim Zugang zur öffentlichen Verwaltung, bei Bankgeschäften sowie im Bereich Freizeit und Kultur. Aber auch im Gesundheits- und Pflegebereich wird es ohne Internet problematisch, beispielsweise, wenn Arztpraxen auf die Online-Vergabe von Terminen umstellen.

Schulungsangebote reichen nicht weit genug

Inzwischen gibt es zahlreiche Bildungsangebote und Initiativen, die ältere Menschen beim konkreten Umgang mit der Technik unterstützen. Doch nicht immer reicht das aus. In die digitale Welt einzutauchen ist vergleichbar mit dem Erlernen einer schwierigen Fremdsprache. Gerade ältere Menschen haben seit ihrer Kindheit die Logik des “Brockhaus-Denkens”2 eingeübt. Sie finden sich deshalb nicht mal schnell in der netzwerkartigen Logik der digitalen Welt zurecht.

Deshalb braucht es über die Bildungsangebote hinaus sensibel und kompetent angepasste technische Lösungen. Die hohen Piepstöne von Waschmaschine oder Spülautomat nehmen Menschen mit eingeschränktem Gehör nicht wahr. Kleine, dem Design untergeordnete Tasten können nicht bedient werden, wenn der Tastsinn und die Stabilität der Fingernägel eingeschränkt sind. Zittrige Hände und nachlassender Sehsinn erschweren die Arbeit mit sensibler Maus oder spiegelndem Touchscreen.

Eine ganz andere “Nebenwirkung” der Digitalisierung trifft ältere Menschen in besonderem Maße. Post- und Bankgeschäfte, Einkäufe und Behördengänge werden zunehmend über das Internet erledigt. Damit verschwinden die in der anlogen Welt selbstverständlichen sozialen Kontakte und die zufälligen Gelegenheiten zum Smalltalk. Selbst der kurze Kontakt mit der Kassiererin an der Kasse im Supermarkt ist in Gefahr, wenn sich Selbstzahlkassen durchsetzen.

Die Anpassungsleistung älterer Menschen

Bleiben Lebensumwelten weitgehend stabil, können Menschen auf Grund eingeübter Routinen und vertrauter Abläufe im Alltag lange Zeit zurechtkommen3, selbst dann noch, wenn körperliche oder geistige Einschränkungen auftreten.

Paul B. und Margarete M. Baltes haben mit dem sogenannten SOK-Modell4 beschrieben, wie das Wohlbefinden und die Alltagskompetenz trotz schwindender Ressourcen erhalten bleiben. SOK steht für Selektion, Optimierung und Kompensation. Die SOK-Strategie bedeutet, dass die älteren und alten Menschen ihre Ziele begrenzen (selektieren), zur Erreichung dieser viel investieren (optimieren) und – wenn nötig – Lösungen suchen, mit denen Defizite ausgeglichen werden können (Kompensation).

Diese Anpassungsleistungen älterer Menschen sind nicht trivial. Wenn nun zu den normalen Altersveränderungen noch die zahlreichen gesellschaftlichen und digitalen Transformationen hinzukommen, stoßen die Älteren trotz der oben beschriebenen SOK-Strategien vermehrt an ihre Grenzen.

Altersstereotype sind hinderlich

Altern ist kein individuell erzeugtes Problem, sondern entsteht über die sozialen Konstruktionen einer Gesellschaft. Die Pandemie hat das deutlich gemacht. Hier wurde auf allen Kanälen betont, wie schützenswert und schwach Senioren sind. Es wurde ein sehr undifferenziertes Altersbild verbreitet. Solche Zuschreibungen werden, wie andere Vorurteile übrigens auch, in das eigene Selbstbild übernommen. Damit wirken Altersselbstbilder wie selbsterfüllende Prophezeiungen und bestimmen Handeln und Wohlbefinden.

Altersbilder fließen auch in technische Lösungen ein. Fürsorgliche, nur auf körperliche Unversehrtheit ausgerichtete Hilfsmittel können unbeabsichtigt die Selbstbestimmtheit begrenzen, diskriminierend wirken und Risiken für Privatsphäre und Datensicherheit mit sich bringen. Ein eindrückliches Beispiel ist ein Sensor-Bett, das nicht nur bei einem epileptischen Anfall, sondern auch bei Geschlechtsverkehr Alarm auslöst.

Was es braucht

Die Zahl älterer Menschen, für die die digitale Welt selbstverständlich dazu gehört, wächst ständig. Sie sehen die Chancen in der Medizin, Kommunikation und Gesellschaft. Sie erkennen auch den Nutzen für ihre eigenen sozialen Kontakte und ihre eigenen Teilhabemöglichkeiten. Was Ältere aber brauchen, sind Programmierer*innen, Entwickler*innen und Designer*innen, die gerontologisch weitergebildet sind und die sehr eng mit älteren Menschen als Expert*innen zusammenarbeiten.

Die BAGSO hat mit dem “DigitalPakt Alter” im August 2021 eine Initiative gestartet, die auf ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben im Alter setzt. Ziel ist es, ältere Menschen bei der digitalen Teilhabe zu unterstützen und auf geeignete Lernangebote sowohl digital als auch vor Ort aufmerksam zu machen. www.digitalpakt-alter.de


Fußnoten

1 Leben ohne Internet – geht’s noch? www.bagso.de/themen/digitalisierung/leben-ohne-internet/ – letzter Zugriff: 06.03.2023.

2 Weinberg, Ulrich , Network Thinking: Was kommt nach dem Brockhaus-Denken? ‎Murmann Verlag, Hamburg, 2015.

3 Vgl. zum Beispiel http://dzd.blog.uni-wh.de/index.html%3Fp=9977.html – letzter Zugriff: 06.03.2023.

4 Baltes, Paul B. und Baltes, Margret M. , “Erfolgreiches Altern: Mehr Jahre und mehr Leben”, in: Margret M. Baltes, Martin Kohli und Klaus Sames (Hrsg.), Erfolgreiches Altern: Bedingungen und Variationen. Huber Verlag, Bern u.a., 1989.


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