von Sr. Nicole Grochowina, Communität Christusbruderschaft Selbitz

Sehr viel geschieht inzwischen online: Bankgeschäfte, Streaming, Kommunikation, Einkäufe, gemeinsame Arbeit an Projekten und, und, und. All dies ist möglich, aber ausgerechnet online beten soll nicht so gut möglich sein? Kaum zu glauben. Und doch: Die Vorbehalte sind groß: Wer betet, braucht einen safe space, Stille und auf keinen Fall mehrere Kacheln auf dem Bildschirm, die eher zum Studieren der Hintergründe als zum andächtigen Innehalten einladen – so heißt es bisweilen. Und überhaupt: Nichts könne die Begegnung von Mensch zu Mensch ersetzen.

In der Tat: Nichts kann eine solche Begegnung ersetzen. Aber dennoch: Online zu beten bedeutet nicht, dass diese Gebete nur ein schwacher Abklatsch der „richtigen“, weil im analogen Raum gesprochenen, Gebete sind, wie vielleicht manche Digital Immigrants meinen. Hier würden vermutlich die Digital Natives vehement widersprechen und darauf verweisen, dass man immer das präferiert, wo man hineinsozialisiert ist. Wenn das stimmt, ist zu erwarten, dass Online-Gebete mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit werden und deshalb bald ohne den Zusatz auskommen: „Wir können uns leider nur online treffen.“

Mit Online-Gebeten sind aber auch Herausforderungen verbunden – zumindest für die Digital Immigrants, denn: Online zu beten bedeutet nicht, das analoge Gebet einfach abzufilmen und ins Netz zu stellen. Online zu beten heißt vielmehr, sich des entgrenzten Raumes des WWW bewusst zu sein und deshalb nach neuen Formen des Gebetes zu suchen, die dem Setting und den Möglichkeiten dieses Raumes entsprechen. Die #twomplet ist seit 2014 eine solche neuere Form. Hier finden sich Betende abendlich zusammen, teilen Fürbitten und folgen gemeinsam einer Liturgie im digitalen Raum. Und spätestens seit Februar 2022 finden online zahlreiche Friedensgebete statt. Sie bieten die Möglichkeit, Menschen aus der Ukraine zuzuschalten, sie zu hören und mit ihnen zu beten.

Das heißt also: Wer online betet, betet mitunter mit der ganzen Welt. Online rückt die Welt zusammen, und das tut auch das Volk Gottes. Am Ende gestaltet und begrenzt sich die Gemeinschaft also eher durch die Uhrzeit des Gebetes, nicht durch die physische Distanz, denn diese ist mit wenigen Klicks zu überbrücken. Wer diese Entgrenzung nicht scheut (und – in Europa lebend – auch gern einmal zur Mittagszeit mit anderen betet), hat die Chance, mit Menschen von Brasilien bis Neuseeland zu beten. Dies ist eine bemerkenswerte Erfahrung und bettet den eigenen Glaubensweg ganz konkret ein in die Wegstrecken der Vielen, die ebenfalls glauben, lieben und hoffen. Das heißt: Wer diese Entgrenzung nicht scheut, für den zeigt sich alsbald hinter jeder Bildschirmkachel im Kerzenschein das Gesicht und bisweilen auch das Herz eines mitbetenden Menschen. So weiß man sich in diesem Moment mit einer betenden Gemeinschaft verbunden, die die Kraft hat, gemeinsam für Wesentliches einzustehen.

In meiner Gemeinschaft, einer evangelischen Ordensgemeinschaft, haben wir zudem auch Exerzitien online durchgeführt und gemeinsame Gebetswege über Ostern und Weihnachten. Es waren Momente des gemeinsamen Singens, Austausches, Betens, Hinhörens – und oft wurde am Ende eines Abends überrascht festgestellt: „Wir sind inzwischen eine richtige Gemeinschaft geworden.“

Zweifelsohne ist dabei die Form des Gebetes und der sichere Umgang mit der Technik wichtig. Hier ist Ausprobieren angesagt – auch noch nach fast drei Jahren Pandemie. Dies lohnt sich, denn es gibt durchaus gemeinschaftliche Formen des Segnens, des Austausches, des Gebets in kleineren Gruppen oder des virtuellen Weiterreichens von Gegenständen und Wünschen. So entsteht Gemeinschaft.

Doch ebenso wichtig ist es, die Inhalte zu elementarisieren, Grafiken und gemeinsame Gebete klar und eindeutig zu gestalten, Bilder wirksam und überlegt einzusetzen sowie strukturiert und knapp im Ablauf und in den Ansagen zu sein. Letztlich gilt bei einem Online-Gebet dasselbe, was auch in einem analogen Gottesdienst gilt: Wer mitbetet, soll sich keine Sorgen machen müssen, ob der*die Liturg*in sich wirklich auskennt.

Von größter Bedeutung ist es allerdings, mit ganzem Herzen hinter dem Gebet und dem gemeinsamen Weg zu stehen, denn dies transportiert sich (wie übrigens auch das Gegenteil) mit großer Klarheit durch den digitalen Raum. Gelingt dies, ist nicht einmal eine Stille im Gebet mehr peinlich, sondern geschieht gemeinsam und ist erfüllt.

Online zu beten schafft Gemeinschaft – und dies ist eine Gemeinschaft, die weit über den eigenen Tellerrand hinausreicht. Das ist nicht nur spannend und bisweilen auch abenteuerlich bei einer gemeinsamen Gebets-Strecke auf Zeit, sondern es ist auch tröstlich, wenn eine größere Community stellvertretend eine Gebetsbitte aufnimmt und sich so hinter das Anliegen des betenden, des bittenden Menschen stellt. Digitale Gebetswände hat es schon vor der Covid-19-Pandemie gegeben. Sie gab und gibt es auch in analoger Form: in den Kirchen, in denen zum Beispiel Bücher ausgelegt sind, um Gebetsbitten zu notieren. Mit der Pandemie aber sind diese digitalen Wände zahlreicher und ausgefeilter geworden. So lässt sich mancherorts erkennen, wie viele Beter ein Anliegen aufgenommen haben. An anderer Stelle gibt es auch Feedback oder Kontaktmöglichkeiten zu Seelsorger*innen – und immer brennt eine Kerze im virtuellen Raum, um diesen trotz seiner Weite zum sacred und damit auch zum safe space für das Herzensinnere zu machen.

Nichts kann die direkte Begegnung von Mensch zu Mensch ersetzen. Richtig. Aber ebenso richtig ist: Die betende Gemeinschaft im digitalen Raum ist nicht zu unterschätzen. Sie ist mehr als ein „nur“ oder ein „schwacher Ersatz“. Vielmehr entfaltet sie ihre eigene glaubensstärkende Kraft. Dabei liegt ihr Charme in ihrer Entgrenzung und in der Vielsprachigkeit des Glaubens, die plötzlich ein konkretes Gesicht bekommt. Und manchmal ist sie auch so entgrenzt, dass es sich plötzlich anfühlt wie eine Verbindung zwischen Zeit und Ewigkeit.


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